Erst wenn er auf die »Rennbahn«, die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Köln und Frankfurt / Main, entlassen wird, zeigt der moderne Zug dann, wie Eisenbahn fahren in Zukunft ist oder doch wenigstens sein sollte – und dass hier offenbar die Zukunft schon begonnen hat. Hier verkehren ausschließlich ICE3-Triebzüge, und diese zumeist in Doppeltraktion als 400 m lange, 820 t schwere und entsprechend bis zu 16 MW aus der Fahrleitung beziehende Züge mit 16 Wagen und gut 800 Sitzplätzen – die oft genug noch nicht einmal ausreichen, um die Nachfrage zu befriedigen. Die höchstzulässige Geschwindigkeit von 330 km/h verleiht dem Begriff »Hochgeschwindigkeitszug« neue Dimensionen, doch das ist nicht das Wichtigste. Sanft gleitend, noch ehe der gemeine Fahrgast es überhaupt wahrnimmt, aber dennoch um Klassen kräftiger als jeder IC-, ICE1- oder ICE2-Zug beschleunigt das Fahrzeug bis auf seine fahrplanmäßige Geschwindigkeit von 300 km/h. »Wie schnell mögen wir jetzt wohl sein?« fragte die neue Mitfahrerin, »180?« Dann fällt ihr Blick auf die Anzeige im Wagen: »299 km/h« steht dort. »Was, so viel? Das merkt man ja überhaupt nicht!«
Die dicken Leiterseile, die man parallel zur Fahrleitung aufgehängt hat, legen beredtes Zeugnis davon ab – nein, nicht davon, wie viel Strom hier verbraten wird, sondern in erster Linie, wie viel Strom hier von einem Zug zum anderen hin und her geschoben wird, damit »der Laden läuft«. Eigentlich sollten sie immer so dick sein – nicht nur, um die Temperatur und die Betriebsspannung im Fahrdraht beim gleichzeitigen Beschleunigen oder Bremsen mehrerer Züge innerhalb zulässiger Grenzen zu halten, sondern auch, um die hiermit verbundenen Energie-Verluste zu reduzieren. Unter Umständen rechnet sich das auch auf anderen, nicht ganz so stark und so schnell befahrenen Strecken. Bei den Niederländischen Staatsbahnen wurde dies vor Jahren schon untersucht, steht nun wieder zur Diskussion und erregte u. a. an der TU Wien und bei einer Firma in Österreich großes Interesse.
Die meisten Züge halten noch ein Mal im »Kunstbahnhof« Siegburg / Bonn. Einige fahren die gesamte Strecke bis Frankfurt Flughafen Fernbahnhof ohne Halt – 180 km in 48 Minuten! Der Routenplaner errechnet für die Autobahn auf dieser Strecke die doppelte Zeit. So sieht das dann auch aus, wenn der Blick auf die parallel verlaufende Autobahn einmal frei wird: Die Straßenfahrzeuge scheinen allesamt mehr oder weniger zu stehen.
Ein Zug fährt noch einen Schlenker über den Flughafenbahnhof Köln / Bonn und nimmt im weiteren Verlauf auch noch die anderen »Kunstbahnhöfe« Limburg Süd und Montabaur mit, die hier inmitten der grünen Wiese speziell für diese Strecke errichtet wurden. Das kostet einen Doppelzug rund 2500 kWh allein für die Beschleunigungs-Vorgänge. Ein teurer Spaß wäre das, könnte davon nicht das Meiste beim Bremsen wieder ins Netz zurück gegeben werden. Doch gerade dafür ist diese Neubaustrecke optimal eingerichtet: Sehr große Kurvenradien, im Zweifel lieber Brücken oder Tunnel, koste es, was es wolle, aber das Fahrgast-Aufkommen zeigt, dass die 6 Milliarden Euro schwere Investition sich lohnt! Die Journalisten, die so gern dieses »Prestige-Objekt« als »Fehlinvestition« geißeln, kennen es offenbar nur von außen. Ihnen sei eine Probefahrt am Montagmorgen oder Freitagnachmittag angeraten – jedoch verbunden mit der dringenden Empfehlung, sich frühzeitig eine Platzkarte zu besorgen, sonst endet der Versuch mit einer Stehpartie! Bei täglich 50 Verbindungen je Fahrtrichtung, großenteils mit Doppelzügen, kommen jährlich fast eine Milliarde Euro in die Kasse.